Abbruchsignale
Interview mit Sophie Strodtbeck & Günther Bloch
Während die einen überzeugt sind,
dass Abbruchsignale das Vertrauen des Hundes in seinen Halter
erschüttern, zeigen andere, dass sie eine normale Form der
Kommunikation zwischen Hunden darstellen. Bedenkt man dieses Thema,
wird man wohl auch auf den Charakter des Hundes eingehen müssen –
Pauschallösungen gibt es keine, wie Günther Bloch sagt. Zudem geht es
immer auch um die Art des Abbruchsignals. Das würde auch die Diskussion
zwischen Gegnern und Befürwortern versachlichen. Günther Bloch und
Sophie Strodtbeck sind WUFF-Lesern gut bekannt. Helga Drogies hat beide
zum Thema interviewt.
Sozioemotionale Stabilität
H. Drogies: Wenn man über
Grenzen-Setzen und Abbruchsignale in Kanidengesellschaften spricht,
kommt oft der Einwand, Hunde seien keine Wölfe mehr und Menschen streng
genommen gar keine Rudelführer. Was erwidert man dieser Kritik?
G.Bloch: „Benimmregeln" gelten für
alle geselligen Lebewesen. Ansonsten lebt man solitär. Ja, ich bin
leidenschaftlicher Kanidenbeobachter. Vor allem aber bin ich
Mehrhundehalter. Und das alles seit Jahrzehnten. Wir Primaten erscheinen
im Umgang mit unseren Vierbeinern oft tragisch-hilflos überfordert.
Gestandene Wolfs- und Hundeeltern kennen derartige Probleme kaum. Sie
wissen instinktiv, warum, wann und wie sie u.a. körperbetonte und
nicht-köperbetonte Abbruchsignale vermitteln. Sozioemotionale
Stabilität fällt ja nicht vom Himmel. Welpen kann man – überspitzt
formuliert – als Egoisten bezeichnen, die den Sinn und Zweck von
gegenseitiger Rücksichtnahme und Hilfestellung sowie „Fair-Play" erst
durch genaue Beobachtung, durch Nachahmung, Rollentausch und über fein
aufeinander abgestimmtes Signalisieren und Angleichen unterschiedlicher
Bedürfnisse lernen müssen. Jungkaniden sind wie Lehrlinge. Sie
absolvieren eine Art „Studium". Abbruchsignale sind ein fester
Bestandteil jeden sozialen Verständnisses. Wem die Möglichkeit verwehrt
wird, Kommunikations-, Interaktions- und Spielrituale inklusive
Unmutsbekundungen einüben und infolgedessen Beziehungen festigen zu
können, verkommt zum bedauernswerten „Asozialen". Punktuelles
Grenzen-Setzen verhindert Hemmungslosigkeit, vermeidet tiefgreifende
Konflikte und ernste Auseinandersetzungen.
S. Strodtbeck: Zunächst einmal: wie
gerade die Untersuchungen in der Budapester Forschungsgruppe um Prof.
Adam Miklosi gezeigt haben, sind Hunde durch ihre Domestikation sehr gut
in der Lage, den Menschen so sehr in ihr Sozialsystem einzubinden, dass
die gleichen sozialen Mechanismen zwischen Mensch und Hund wie zwischen
Hund und Hund gelten können. Ich möchte vor allem auf die Verantwortung
des Halters in der Welpen- und Junghundezeit hinweisen: Wenn ein Hund
in dieser Zeit lernt, dass er durch das Befolgen eines Abbruchsignals
Stress vermeiden kann, stabilisiert sich sein Stressbewältigungssystem.
Seine Hirnrinde und seine Nervenbahnung wird leistungsfähiger und er
selber damit in Zukunft belastbarer und stressresistenter. Und das
Schöne dabei ist, dass er diese Frustrationstoleranz auch
verallgemeinert. Wer in der Welpen- und Junghundzeit gelernt hat, dass
man nicht immer seinen eigenen Kopf durchsetzen muss, sondern gerade
durch gezieltes „mal klein beigeben" auch den sozialen Frieden erhalten
und sich damit ein ruhiges Leben verschaffen kann, wird auch in ganz
anderen Konflikt- und Stresssituationen ruhig und zielgerichtet
handeln. Leider wird vielen Hunden diese Frustrationstoleranz nicht
beigebracht. Dabei ist seine Umwelt kontrollieren zu können ein Erfolg,
der einem Recht gibt. Und man kann seinen Vorgesetzten wunderbar
„kontrollieren", wenn man tut, was er von einem will. Dann hat man die
Ruhe und er die Pflichten!
Hundehalter als „souveräner Gruppenleiter"?
H. Drogies: Aber liegt hier nicht
der Knackpunkt? Als Hundehalter bekommt man doch allerorten den Begriff
des „souveränen Gruppenleiters" um die Ohren gehauen, der ständig alles
Unerwünschte aktiv ignoriert und körperbetonte Abbruchsignale nicht
nötig hat.
G. Bloch: Ach was! In einundzwanzig
Jahren Kanidenforschung habe ich weder bei Wolf noch Hund jemals
Leittiere kennengelernt, die sich immer ausgeglichen und abgeklärt
verhalten. Souveränes Auftreten ist kein Dauerzustand. Auch den
ultimativ-gültigen Schnauzgriff oder das Umwerfen habe ich nie gesehen.
Stattdessen notiere ich tagtäglich nuanciertes, interaktives
Kommunikationsverhalten. Die Grundstimmung und sozioemotionale
Gestimmtheit von Kanideneltern ist, wie ich schon erwähnte,
grundsätzlich freundlich und auf die Aufrechterhaltung von
Gruppenharmonie ausgerichtet. Dennoch kracht es gelegentlich.
Schließlich ist die soziale Organisation von Kanidenfamilien ungemein
dynamisch. Dass Leittiere den Lebenstakt ihrer sozialen Gruppe vorgeben,
als charismatische Idolfiguren fungieren und oftmals „ihr Ding"
durchziehen (was man offensichtlich neuerlich unter der Definition
„aktives Ignorieren" subsummiert), habe ich erstmals 1992 publiziert.
Das ist längst allgemeingültiger Wissensstand.
Vielleicht sollten manche Hundetrainer
einmal konstruktive Neuvorschläge unterbreiten anstatt die
Untersuchungsergebnisse von Anderen ohne Quellenangabe einfach
hemmungslos abzuschreiben. Diesbezüglich sei aber jedem Hundehalter ans
Herz gelegt, tunlichst auf längerfristiges Ignorieren zu verzichten. Das
bedeutet für ein betroffenes Individuum sozioemotionale Isolation. So
etwas Grausames tun wohl nur Menschen. Kaniden jedenfalls nicht. Deshalb
orientiere ich mich ja weitestgehend an den wölfischen und hundlichen
Grundmustern eines funktionalen Konfliktmanagements. Solange man mir
nichts Gegenteiliges beweist, gehe ich jedenfalls unbeirrt davon aus,
dass erwachsene Kaniden normalerweise wissen, was sie tun.
S. Strodtbeck: Zudem ist häufig
unerwünschtes Verhalten durch die gleichzeitige Aktivierung von
Selbstbelohnungssystemen im Gehirn gekennzeichnet. Ob es dabei um aktive
Vorwärtsaggression, Jagen oder Zerstören von Gegenständen geht, die
dabei beteiligten Botenstoffe wirken als Lernverstärker, ein Ignorieren
durch den Menschen wird daran nichts ändern. Außerdem zeigen die
statistischen Auswertungen der Kommunikationsvorgänge in den genannten
Studien dass, wenn ein Abbruch- oder anderes Signal ignoriert wird, es
eben durch Eskalation verstärkt wiederholt wird. Wenn der Adressat gar
nicht reagiert, weiß man ja nicht, ob er einen überhaupt wahrgenommen
hat. Also wird man deutlicher – bleibt einem ja nichts anderes übrig …
Positive Verstärkung und Abbruchsignale
H. Drogies: Kürzlich wurden
Abbruchsignale in einem Internetforum mehr oder weniger mit roher
Gewalt gleichgesetzt und alle Diskussionsteilnehmer dazu aufgerufen,
Verzicht zu üben, um Haushunden unnötiges Leid zu ersparen. Als
Alternative zur allgemeinen Hundebehandlung schlug man positive
Motivation vor. Wie beurteilt Ihr dies?
G. Bloch: Ja, Ja, „Kampfhunde" sind
generell böse, Aggression ist ausnahmslos negativ zu bewerten, alle
Hundehalter wollen „Alphatiere" sein und jeglicher Gebrauch von
Abbruchsignalen ist gewaltverherrlichend. Willkommen in der Welt der
unausrottbaren Klischees! Das sind doch größtenteils nur Floskeln
konsequenzloser Entrüstung, die sich in hektischen Zeiten zunehmender
Naturentfremdung und gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit rein
kaufmännisch betrachtet bestens verkaufen lassen.
Selbstverständlich leiden Hunde, die man
als Mensch aggressiv-gestimmt, zu häufig und vor allem total
unverhältnismäßig mit Abbruchsignalen konfrontiert. Wer wollte das
ernsthaft bezweifeln? Auf der anderen Seite leiden auch alle Hunde, die
man an die emotionale Kette legt, die man bis zur Unkenntlichkeit zu
erschreckender Hilflosigkeit erzieht, die nie eigene Erfahrungen sammeln
durften, wie mit Frustration umzugehen ist. Zum Alternativvorschlag
„positive Motivation"? Dann muss es ja im Umkehrschluss auch negative
Motivation geben. Wer’s glaubt!? Ich halte mich da lieber weiterhin an
meinen eigenen Wahlspruch, den ich nachweislich seit 1977 vertrete: „So
viel positive Verstärkung wie irgend möglich, so viel Abbruchsignale wie
unbedingt nötig". Damit kann ich prima leben.
Bloch und Strodtbeck über ihre eigenen Hunde
H. Drogies: Wenn ich mir noch eine
letzte Frage erlauben darf mit der Bitte um eine ehrliche Antwort: Wann
und wie genau maßregelt Ihr Eure eigenen Hunde?
G. Bloch: Kein Problem. Ich bin
sogar dankbar für die Frage, weil ich ja in manchen Kreisen als
unverbesserlicher Hardliner gelte. Der Bloch-Hundehaushalt besteht
zurzeit aus unserem fast neun Jahre alten, introvertierten, gegenüber
allem Fremden sehr distanziert auftretenden Seelchen-Typ Raissa
(kaukasische Owtscharka-Hündin) und dem fast drei Jahre alten,
extrovertierten, alle Menschen und Artgenossen stürmisch begrüßenden
„Kontrolletti-Typ" Timber (westsibirischer Laika-Rüde). Unsere Madame
kontrolliere ich eigentlich sehr gut mittels der Abbruchsignale
„Feierabend jetzt" und/oder „Hände-Klatschen", wenn sie ihr
majestätisch-territoriales Auftreten ab und an maßlos übertreibt.
Ansonsten ist Raissa ihrem Persönlichkeitstyp entsprechend
zurückhaltend, besonnen und im Haus die Ruhe selbst.
Mit Wirbelwind und Kontrollfreak Timber sieht die
ganze Sache naturgemäß völlig anders aus. Ihn muss ich mehrmals am Tag
über das Bloch’sche Lieblings-Abbruchsignal „Spinnst du?" verbal zur
Ordnung rufen, gelegentlich ins Fell zwicken oder mittels Zeige- und
Mittelfinger in die Schulterpartie stoßen bzw. phasenweise regelrecht
zur Ruhe zwingen, indem ich ihn strikt auf einen Liegeplatz verweise.
Timber erinnert sich nämlich manchmal nur ungerne der Jahrtausende
alten Kanidenregel, dass ausgiebige Inaktivphasen zum seelischen
Ausgleich unabdingbar sind. Das war’s. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
S. Strodtbeck: Das hängt, wie eben
so schön von Günther erklärt, erst einmal davon ab, um welchen
Hundetyp/Hund, in welchem Alter und in welcher Lebenssituation es geht.
Mit meinem hypersensiblen Chihuahua-Mix Piccolo gehe ich natürlich
anders um als mit dem „sie hat es sicher nicht so gemeint-Beagle" Herrn
Meier. Bei Piccolo reicht ein Blick oder ein an ihn adressiertes
„Feierabend jetzt!", Herr Meier hingegen wird durchaus gelegentlich mal
angerempelt, wenn er z.B. mal wieder meint, sich quer vor mir auf der
Treppe positionieren, oder den anderen Dreien mit respektlosen
Rempeleien auf die Neven gehen zu müssen. Denn dass man alte
Arthrose-geplagte Damen (damit meine ich die beiden Hündinnen, nicht
mich!) genauso wenig über den Haufen rennt wie einen Zwerghund, muss
auch ein Beagleschnösel lernen.
Die Hunde regeln hier viel untereinander,
oft mit deutlicher aggressiver Kommunikation, aber natürlich ohne
Beschädigungen, denn sie haben eben alle gelernt, auf Abbrüche zu
reagieren – manche schneller, bei manchen (einem!) dauert es eben
manchmal etwas länger, bis auch er kapiert. Zu seiner Verteidigung muss
man aber sagen, dass er hier schon einiges gelernt hat. Aber wenn es mir
zu bunt/zu laut wird, greife ich ein. Und wie Timber leidet auch Meier
an Alzheimer, wenn es um die Aktivitätsphasen geht, also ist auch hier
öfter mal eine Zwangspause angesagt. Dafür ist mir dann der Rest der
Meute dankbar. Günes, die alte Dame und ihres Zeichens Canis autisticus,
ist die Meisterin der Bewegungseinschränkung, vor allem, wenn
Hundebesuch da ist. Wenn sie es übertreibt, schlage ich sie in diesem
Fall z.B. mit ihren eigenen Waffen und bedränge und fixiere auch sie,
dann zieht sie Leine und lässt es gut sein.
Auf der anderen Seite sorge ich eben auch
dafür, dass der Besuch sie in Ruhe lässt. Andra ist – obwohl auch Beagle
– wesentlich leichter zu beeindrucken als Herr Meier, auch bei ihr
reicht in der Regel ein deutliches „Schluss jetzt!". Alles in allem
würde ich behaupten, dass wir trotz bunt gemischter Truppe und
gelegentlich nötiger Abbrüche ein recht harmonisches und
vertrauensvolles (Zusammen-)Leben führen.
H. Drogies: Vielen Dank für das offene und äußerst informative Gespräch.
Literaturquellen und Hinweise:
- Bloch, G. & Radinger, E. H. (2010): Wölfisch für Hundehalter, Kosmos.
- Bloch, G. & Radinger, E. H. (2012): Affe trifft Wolf, Kosmos.
- Gansloßer, U. (2007) Verhaltensbiologie für Hundehalter. Kosmos.
- Strodtbeck, S. (2011) Kein Häuptling ohne Indianer – die Sache mit der Dominanz. Hundemagazin WUFFwww.gesunde-hunde-shop.de
Die mit Helga Drogies gekennzeichneten Fotos stammen aus dem Buch G. Bloch, E.H. Radinger, „Affe trifft Wolf", Kosmos, 2012. Diese Bilder und andere Aufnahmen der von G. Bloch begleiteten „Pipestone-Wolfsfamilie" sind in Form eines Kalenders erhältlich bei:
www.gesunde-hunde-shop.de
Who is who...
Günther Bloch: Der Begründer des 1977
eröffneten Canidenverhaltenszentrums Hunde-Farm „Eifel" ist Autor von
neun Fachbüchern über Wolfs- und Hundeverhalten und führt seit 1992 bis
heute im Rahmen seiner „Bow Valley Wolf Behaviour Observations"
Langzeitbeobachtungen an frei lebenden Timberwölfen durch. Seit Ende
2010 lebt Bloch mit Frau Karin und seinen Hunden in Kanada.
Wolfspatenschaften und Kontakt:
www.hundefarm-eifel.de
canidexpert@aol.com
www.hundefarm-eifel.de
canidexpert@aol.com
Sophie Strodtbeckist
Tierärztin mit einer weitgehend an der angewandten Verhaltensbiologie
und Soziobiologie orientierten Arbeitsweise der Verhaltensmedizin. Sie
ist sehr erfolgreich als Beraterin, Autorin und Vortragsreferentin
tätig, wobei die Sichtweise des Hundes und seiner Anpassungsfähigkeit
als Gesamtlebewesen, und nicht eine auf punktuelle Einzelprobleme und
deren kurzfristige Therapierbarkeit ausgerichtete Vorgehensweise
angewandt wird. Zusammen mit PD Dr. Udo Gansloßer betreibt sie das
Beratungsangebot Einzelfelle (www.einzelfelle.de) für Haus- und Heimtierhalter/innen.
Hier erhalten Sie WUFF:
WUFF ist als Heft- oder Online-Abo sowie im gut sortierten Kiosk erhältlich.
NEU: ab sofort gibt es WUFF auch im Apple App-Store!
NEU: ab sofort gibt es WUFF auch im Apple App-Store!
Autor dieses Artikels:
Helga Drogies
Helga Drogies ist
überzeugte Halterin von drei Akita Inu, Inhaberin des
„Gesunde-Hunde-Shops" und konnte sich im November 2011 im Banff National
Park als Augenzeuge selbst davon überzeugen, dass Abbruchsignale kein
Teufelswerkzeug sind.
Kontakt:
www.gesunde-hunde-shop.de
info@gesunde-hunde-shop.de
Kontakt:
www.gesunde-hunde-shop.de
info@gesunde-hunde-shop.de
Weitere Artikel dieses Autors:
Weitere Artikel aus WUFF 2012|05
Hier finden Sie weitere Artikel aus diesem Heft:
[mehr]
[mehr]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen